Donnerstag, 23. Juni 2016

22. Misstrauensantrag in der Geschichte der Bürgerschaft

Wenn sich die Bremische Bürgerschaft am 24. Juni mit dem Misstrauensantrag gegen Finanzsenatorin Karoline Linnert (Grüne) befasst und geheim abstimmt, ist es der 22. in ihrer Geschichte. Der erste richtete sich im April 1967 gegen Moritz Thape (SPD), der damals Senator für das Bildungswesen war. Ihm wurde Versagen beim Aufbau der Universität vorgeworfen. Wie die meisten Initiativen der Opposition wurde der Antrag abgelehnt. Nur einmal hatte ein  Misstrauensvotum Erfolg: 1995 gegen Umweltsenator Ralf Fücks (Grüne), dem das offenbar eigenmächtige Anmelden von Vogelschutzgebieten in der Hemelinger Marsch zum Verhängnis wurde. Mit seinem Ausscheiden zerbrach zugleich die Bremer Ampel-Koalition,  denn die FDP hatte das Votum gegen Fücks offen unterstützt. Es gab spektakuläre (Geiseldrama Gladbeck, Bremer Krawalle)  und weniger aufregende (unzulängliche Verkehrsplanung) Misstrauensverfahren: Zwei erledigten sich noch vor der Abstimmung, weil die attackierten SenatorInnen Bernd Meyer und Senatorin Karin Röpke (beide SPD) vorher zurücktraten; 1969 wurde ein Antrag gegen Senator Rolf Speckmann (FDP) zurückgezogen. 

Der frühere Bürgermeister Henning Scherf schaffte es, gleich drei Mal Adressat von  Misstrauensbegehren zu werden. Unvergessen bleiben die heftigen Auseinandersetzungen am 6. Mai 1980, die eine öffentliche Vereidigung von Bundeswehr-Rekruten im Weser-Stadion begleiteten. Bilanz: 257 zum Teil lebensgefährlich verletzte Polizisten und Soldaten, 50 verletzte Demonstranten und erheblicher Sachschaden. Die CDU nahm die Bremer Krawalle und deren Umstände zum Anlass für einen Misstrauensantrag gegen gleich drei Regierungsmitglieder: Bürgermeister Hans Koschnick, Innensenator Helmut Fröhlich und Sozialsenator Henning Scherf. Auch musste sich Scherf wegen vermeintlicher Beleidigung des US-Präsidenten der Vertrauensfrage stellen; und schließlich wollte die Opposition ihm als Bildungssenator für Millionen-Ausgaben seines Ressorts am Haushaltsausschuss vorbei - im Zuge dieser Angelegenheit wurden auch Zeitungsredaktionen durchsucht – das Vertrauen entziehen. Während der großen Koalition wurde 2005 auch einem CDU-Senator offiziell Misstrauen entgegengebracht. Thomas Röwekamp geriet wegen des Todes eines Drogendealers in die Schusslinie: Ein Mann aus Sierra Leone war nach der zwangsweisen Eingabe von Brechmitteln gestorben.

Das Misstrauensverfahren ist in Artikel 110 der Bremer Landesverfassung geregelt. Von den Landesverfassungen der Nachkriegszeit, die vor dem Grundgesetz in Kraft traten, sah sie als einzige ein konstruktives Misstrauensvotum vor. In den Vorläuferverfassungen findet sich ein solches Votum erstmals in der Weimarer Reichsverfassung von 1920. Nach deren Paragraf 51 bedurften damals der Senat und die einzelnen Senatsmitglieder zu ihrer Amtsführung des Vertrauens der Bürgerschaft. Jedes Senatsmitglied musste zurücktreten, wenn ihm die Bürgerschaft durch ausdrücklichen Beschluss ihr Vertrauen entzog.